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Avantgarde oder Bausünde? Das Hochhaus von Eisenstadt

Von Kindesbeinen an hat das Hochhaus in Eisenstadt eine große Faszination auf mich ausgeübt. Als kleiner Bub war ich natürlich angetan von der Idee, dort mal vom Balkon runter zu spucken, später fand ich es ehrlich gesagt ziemlich hässlich und mittlerweile gehört es für mich bereits so zum Stadtbild von Eisenstadt, dass ich es liebgewonnen habe.

Weil das Hochhaus generell polarisiert, habe ich mich für Pusztavibes auf Spurensuche begeben. Eine kurze Internetrecherche führte mich zu Dr. Klaus-Jürgen Bauer in Eisenstadt, der nicht nur die 2001 verstorbene Architektin Martha Bolldorf gekannt hat, sondern auch beim Tag des Denkmals 2017 eine Besichtigung des Hochhauses geleitet hat.

In seinem Büro in der Eisenstädter Innenstadt durfte ich mit Dr. Bauer ein sehr interessantes Gespräch über die Geschichte und Architektur des Hochhauses führen.

„Der schönste Punkt in Eisenstadt ist ganz Oben am Hochhaus. Das ist nämlich der einzige Punkt, an dem man das Hochhaus nicht sieht“ zitiert er einen alten Eisenstädter Schmäh, der die Beziehung vieler BewohnerInnen hier auf den Punkt bringt. Als ich ihn nach der Entstehung des Hochhauses frage, möchte er zunächst wissen, ob ich die kurze oder lange Version bevorzuge. Natürlich entscheide ich mich für die Lange und so holt Dr. Bauer aus und erklärt zunächst, was die Kirche mit dem Bau des Hochhauses zu tun hatte.

„Eisenstadt wurde ja erst in den 60er Jahren die Hauptstadt des Burgenlandes, aber es gab bereits nach der Trennung von Ungarn diesbezügliche Bestrebungen. Mit städtebaulichen Entwicklungen wie dem Bau des Landhauses wurde eine Art Landeshauptstadt-Bewusstsein geprägt. Die katholische Kirche wurde im Zuge dieser Bautätigkeit sehr präsent im Burgenland. Bald war klar, dass die Kirche ein Diözesangebäude in Eisenstadt brauchte. Der damalige Bischof Josef Schoiswohl brauchte natürlich eine Residenz und da kam dann Martha Bolldorf ins Spiel. Sie war eine Tiroler Architektin, die einen Verwandten der Eszterhazys heiratete, die Ruine des Schlosses Kobersdorf gekauft und mit viel Herzblut wieder aufgebaut hattte.“

Das Hochhaus ist von allen Seiten imposant.

Martha Bolldorf und die Vorgeschichte des Hochhauses

„Martha Bolldorf war eine sehr schillernde Persönlichkeit und hat immer von sich selbst behauptet, dass sie die erste Architektin Österreichs war. Sie kam von der Akademie der bildenden Künste, studierte in der Klasse von Clemens Holzmeister und verbrachte die Kriegszeit in seinem Atelier in Ankara. Dort erbaute sie als relativ junge, toughe Frau verschiedene Regierungsgebäude. Nach dem Krieg kam sie zurück nach Wien, baute dort wieder ein Büro auf und arbeitete sehr viel für die Kirche. So ist Frau Bolldorf als Architektin für die Diözese Eisenstadt ins Spiel gekommen. Sie hat die halbe Altstadt in Eisenstadt nieder gerrissen und hat um die alte Stadtpfarrkirche herum die Bischofsresidenz erbaut. Sie machte mit dieser Residenz städtebaulich und architektonisch große Geschichte.

Um das Ganze finanzieren zu können, verkaufte die Kirche dann Pfarrgründe, die dort waren, wo jetzt das Hochhaus und alle Häuser rundherum stehen. Diese Gründe wurden an verschiedene Wiener Bauträger – damals übrigens schon nach politischen coloeurs aufgeteilt – verkauft. Die machten dort eine Bebauungsstudie nach den damals modernen Gesichtspunkten der gegliederten und aufgelockerten Stadt und planten einen neuen Stadtteil mit vier- bis siebengeschössigen Häusern, die locker aufgestellt wurden. Als sogenannte „Dominante“ sollte dann dort ein Hochhaus gebaut werden.

Das Hochhaus ist 51 Meter hoch, hat 17 Geschosse und 71 Eigentumswohnungen. Zunächst waren es Mietwohnungen, die dann nach mehrmaligen Eigentümerwechsel zu Eigentumswohnungen geworden sind. 118 Menschen bewohnen das Hochhaus heute, das ist wie ein kleiner Ortsteil kann man sagen.“

Stairway to Hochhaus. Natürlich gibt es aber auch zwei Aufzüge.

 

Der Baustil des Hochhauses

 „Das war damals der sogenannte „internationale Stil“ oder auch „Funktionalismus“. Vom Bauhaus in der Vorkriegszeit mehr oder weniger begründet, wurde damals weltweit so gebaut. Typisch für die 60er Jahre ist der soziale Leitgedanke – jede Wohnung hat einen eigenen Balkon.

Außerdem ist das Hochhaus keine gerade Kiste, sondern es gibt Vor- und Rücksprünge. Mit Hilfe von mehreren Ecken wollte man hier eine Dynamik hineinbringen. Die Farbsprache mit Pastell und Rot ist ebenfalls im internationalen Stil zu verorten.

Dieser Stil wurde auf der IBA Berlin (Internationale Bau Ausstellung) im Jahr 1957 entwickelt. Damals sind alle Bauhaus-Meister aus den USA zurückgekehrt und haben diesen Stil in das kriegszerstörte Berlin gebracht. Von dort hat sich das dann über ganz Europa verbreitet und Martha Bolldorf hat offensichtlich Architektur-Medien gut gekannt und ist wahrscheinlich wie viele andere ArchitektInnen auch nach Berlin gepilgert. In einigen Gegenden der Welt war man 1971 zwar schon wieder bei anderen Stilen, aber das Hochhaus wurde am Höhepunkt dieser Zeit errichtet und ist somit eine erklärte moderne Position. Interessant finde ich, dass zwischen Bischofshof und Hochhaus 10 Jahre liegen und die Formensprache komplett unterschiedlich ist.“

Waren die Wohnungen im Hochhaus nach der Fertigstellung begehrt?

„Der Bau wurde damals kontrovers diskutiert, aber nach der Fertigstellung waren die Wohnungen extrem begehrt. Sie waren nicht sehr groß, aber mit amerikanischer Küche und sehr intelligent geplant. Niemand hatte damals in Eisenstadt einen Balkon – das war neu und zeitgemäß. Ein WC innen, Zentralheizung, Waschmaschinen, die nicht im Keller stehen, all das hat man damals nicht gehabt. Es war also alles state of the art und deshalb waren das sehr begehrte Wohnungen.

Heute sehen wir das Ganze anders: Wenn wir jetzt zb im Eisenstädter Bahnhofsvorfeld sind, sind die 60er Jahre baulich plötzlich aus. Und dann beginnen die Bauten der 70er und 80er Jahre, die anders aussehen. Diese Aufbruchsstimmung wurde nicht fortgesetzt und nur das Hochhaus ist – wie eine Zeitkapsel – zum Glück unverändert geblieben.“

Das Kästchen rechts neben den Aufzügen ist der Müllschlucker.

Um herauszufinden, wie es sich im Hochhaus lebt, habe ich nach dem a Interview mit Dr. Bauer noch eine Bewohnerin des Hochhauses besucht und ein bisschen mit ihr gesprochen. Die Bewohnerin ist im Februar 1971, also im Jahr der Fertigstellung eingezogen und war die sechste Wohnungseigentümerin des Hochhauses. Sie persönlich hatte aber eher pragmatische Motive beim Einzug.

Was ist denn für Sie das Beste am Wohnen im Hochhaus?

Ich genieße vor Allem die Lage und den Ausblick des Hochhauses. In lauen Sommernächten lege ich mich in meine Hängematte auf dem Balkon und lese dort stundenlang.

Das klingt super. Was mich am Hochhaus immer fasziniert hat, ist die Tatsache, dass es hier auf jedem Stock einen „Müllschlucker“ gibt. Ist der noch in Betrieb? 

Leider nein. Es gibt ihn zwar noch, aber alle Zugänge wurden vor einigen Jahren zugemacht und er ist jetzt ein ungenutzter Schacht. Der Müllschlucker war extrem komfortabel, aber die Leute haben dort von Windeln bis Christbäume einfach alles reingeschmissen und irgendwann hat es der Hausverwaltung dann gereicht. Die Schließung wurde heftig diskutiert, schließlich haben wir ja alle auch dafür bezahlt. Letztlich kann ich die Entscheidung aber sehr gut nachvollziehen.

 Danke für den interessanten Einblick ins Leben im Hochhaus.

 

Der „schönste Punkt Eisenstadts“ vom 9. Stock aus.

9 Comments on “Avantgarde oder Bausünde? Das Hochhaus von Eisenstadt

    1. Liebe Frau Dunkl!
      Danke für den Kommentar. Ich denke, dass Herr Dr. Bauer damit den rechtlichen, in der Stadtverfassung verankerten Status als Landeshauptstadt gemeint hat. Dieser wurde tatsächlich erst 1965 wirksam. Wenn wir vom Status der „provisorische Hauptstadt“ ausgehen, haben Sie aber natürlich vollkommen Recht. Diesen hatte Eisenstadt schon 20 Jahre früher.
      LG,
      Reini

  1. War äußerst interessant dies alles zu lesen – wußte ich bisher noch nicht.
    Allerdings weiß ich, daß wir am 25.10.1971 ins Hochhaus eingezogen und ab diesem Zeitpunkt dort bis März 1991 gewohnt haben.
    Zum Zeitpunkt unseres Einzuges, hat die Firma Kientzl noch fleißig im Hochhaus Fertigstellungsarbeiten verrichtet. Wir hatten insofern Glück, daß wir zum Siedeln den Lastenaufzug mit Entgegenkommen der Firma Kientzl benutzen durften. Der Lift war dann am Wochenende nicht in Betrieb, weil auch keine Arbeiter im Haus … nur wir!
    Somit kann es nicht stimmen, daß Ihre Interviewpartnerin seit Februar 1971 dort wohnt. Im Februar 1971 war das Hochhaus noch Großbaustelle.

    1. Liebe Frau Huf!
      Vielen Dank fürs Lesen und Kommentieren. Ich habe mir gerade die Tonaufnahme noch einmal angehört und meine Ansprechpartnerin hat tatsächlich den Februar 1971 genannt. Möglicherweise hat sie sich da aber auch in ihrer Timeline vertan, 1971 ist ja schon ein Zeiterl her ;). Trotzdem Danke für Ihre Richtigstellung, ich werde bei Gelegenheit noch einmal nachfragen.
      Lg,
      Reini

      1. Okay danke. Sie wird sich sicher erinnern können, daß es Feber 1972 gewesen ist – allerdings nicht so wichtig.
        Wir waren wirklich die ersten, die noch in der „Baustelle“ ab 25.10.1971 im 10.Stock gewohnt haben.
        Dankeschön nochmal für Ihre sehr interessante Recherche,
        Maria

  2. „Niemand hatte damals in Eisenstadt einen Balkon“ – stimmt so auch nicht. In der Ignaz Till-Straße gab es seit den 30er Jahren Balkone/Loggien, die 3 „ersten Hochhäuser“(8stöckig) neben dem Hochhaus hatten auch welche und von der Haydngasse 12 weiß ich auch definitiv, dass da Balkone waren.

    1. Liebe Herr/Frau Knur!
      Tut mir leid, dass ich den Kommentar jetzt erst freigeschaltet habe. Ich hatte ein Problem mit Spam-Kommentaren und da ist dieser wohl durchgerutscht. Jedenfalls vielen Dank für die Bemerkung. Ich interpretiere die Aussage so, dass vielleicht einige wenige damals Balkone hatten, der Großteil aber nicht. Lg, Reini

  3. Guten Tag und vielen Dank für den tollen Blog.
    Über Geschmack lässt sich bekanntermaßen trefflich streiten.
    Aber so groß mein Verständnis für moderne Architektur ist, diese Haus ist ein wirklich hässliches Monster.
    Auf der Pro Seite ist es aber auch angezeigt zu erwähnen das auch Architekten unter Kostendruck stehen. In diesem Fall scheint dieser erheblich gewesen zu sein. Die Hauptsache ist ja dass sich die Menschen in dem Gebäude wohl fühlen und sicher sind. Das vermag unter Umständen sogar ein solches Exemplar zu leisten.
    LG
    Stefan Tiez

    1. Lieber Herr Tiez,
      Ohne Zweifel polarisiert das Hochhaus enorm, was letztlich auch der Grund für mein Interesse daran war. Ich hoffe natürlich, dass sich die Leute dort wohlfühlen, hatte bei meinen Recherchen dazu aber schon den Eindruck 😉
      Vielen Dank fürs Lesen und Kommentieren!
      Reini

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